Honan Form   <===     Tai Chi - Wirkungen auf den menschlichen Organismus
 
Tai Chi Grundlagen

Charakteristika des Tai-Chi

Im Großen und Ganzen kann man Tai-Chi durch folgende Punkte charakterisieren :

  • Entspannung und Harmonie
  • Gleichmäßige und fließende Bewegung
  • Runde und natürliche Bewegung
  • Koordination des ganzen Körpers
Entspannung und Harmonie

Der Körper nimmt beim Tai-Chi eine stabile, aber entspannte Haltung ein. Die einzelnen Bewegungen werden harmonisch, nicht steif oder stockend ausgeführt. Mit wenigen Ausnahmen braucht man dabei keine plötzliche Haltungsänderung oder heftige Sprünge zu machen. Dadurch entspricht es praktisch der physiologischen Eigenschaft des Organismus.

Nach einer oder zwei Runden Tai-Chi treten außer leichtem Schwitzen nur selten Kurzatmigkeit oder andere Zeichen einer Überanstrengung auf. Man fühlt sich im Gegenteil danach körperlich wohl und seelisch erheitert.

Deshalb eignet sich Tai-Chi recht gut zum Training des Organismus für alle Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Konstitution. Besonders für Menschen mit chronischen Krankheiten oder geschwächtem Organismus bietet sich Tai-Chi als eine hervorragende Trainingsmöglichkeit an.

Gleichmäßige und fließende Bewegung

Alle Bewegungen des Tai-Chi, vom Anfang bis zum Ende einer Übungsfolge, sind ununterbrochen miteinander verbunden. Sie folgen fließend nacheinander und stellen somit eine zusammenhängende Bewegung dar. Auch wenn dabei Änderungen der Haltung oder Verlagerungen des Körpergewichts vollzogen werden und Übergänge zwischen zwei nacheinander folgenden Bewegungsfolgen vorhanden sind, ist trotzdem an keiner Stelle ein Stillstand der Bewegung sichtbar.

Wenn man Tai-Chi korrekt vorführt, sind die Bewegungen gleichmäßig, und sie folgen harmonisch aufeinander. Es sieht aus wie schwebende Wolken und unendlich fließendes Wasser.

Runde und natürliche Bewegung

Im Gegensatz zu den Selbstverteidigungskünsten vermeidet man beim Tai-Chi gradlinige Bewegungen. Es werden vor allem mit den Armen bogenförmige Bewegungen bevorzugt. Dies stimmt mit der natürlichen Beweglichkeit menschlicher Gelenke überein. Durch solche bogenförmigen Bewegungen ergibt sich nicht nur eine für Tai-Chi typische Bewegungsform, sondern alle Gelenke und Körperteile können auf natürliche Weise trainiert und weiterentwickelt werden.

Koordination des ganzen Körpers

Gleichgültig, ob man eine ganze Form des Tai-Chi oder nur einen Teil davon ausführt, müssen die verschiedenen Bestandteile, aus denen sich Tai-Chi zusammensetzt, reibungslos koordiniert werden. Die einzelnen Bewegungen der Arme müssen mit denen der Beine abgestimmt sein. Die bewußte Führung (der Geist) einerseits und die tiefe Atmung sowie die Bewegungen des Körpers andererseits müssen miteinander eine Einheit bilden.

Außerdem gehen die Bewegungen der Arme und der Beine vom Rumpf (Schulter und Kreuz) aus, und gleichzeitig müssen sie, wie ein Reißverschluß aufeinander passend, reagieren. Dies bedeutet, daß die Bewegungen der Arme und der Beine synchron bleiben, da sie sonst steif und stockend würden.

 

 

 

 

Kriterien für die Ausübung

Aus den im vorherigen Kapitel genannten Charakteristika des Tai-Chi ergeben sich folgende :

  • Bewußte Führung
  • Gelassenheit
  • Aufmerksamkeit
  • Entspannung und Kraftaufwand
  • Koordinierung
  • Natürliche Atmung
  • Verlagerung des Körpergewichts und Schwerpunkts
Bewußte Führung

Alle Bewegungen des Körpers, mit Ausnahme der reflektorischen Reaktionen, werden vom Bewußtsein gesteuert. Das ist auch beim gesamten Bewegungsprozeß des Tai-Chi so. Dabei spielt nicht nur die Konzentrationsfähigkeit, sondern auch das Vorstellungsvermögen eine wichtige Rolle. Hierzu folgendes Beispiel :

Bei dem Beginn, der 1. Folge der Form, werden beide Arme allmählich nach vorne in Schulterhöhe geführt. Dabei darf man die Arme nicht gestreckt bewegen, vielmehr stellt man sich die Bewegung der Arme zuerst bildlich vor und führt sie danach langsam und locker aus. Auch andere Bewegungen sollte man zuerst mental durchführen, bevor man die Bewegung tatsächlich ausführt.

Der typische Bewegungsfluß des Tai-Chi kann nur zustande kommen, wenn sich diese bewusste Führung auch im Fluß befindet. Daher sagt man :

Der Geist (das Bewußtsein) leitet den Körper       bzw.
Wenn der Gedanke in Gang ist, folgt der Körper.

Um diesen Anspruch zu erfüllen, muß man auf folgende zwei Punkte achten:

Gelassenheit

Schon bei der Ausgangsstellung des Tai-Chi muß man ruhig und voll konzentriert sein. Man darf sich gedanklich nicht mehr mit anderen Dingen beschäftigen. Nun prüft man in Ruhe :

  • ob die Haltung des Kopfes und des Rumpfes richtig ist
  • ob die Schulter und die Arme locker sind
  • ob die Atmung frei und fließend ist

Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, fängt man mit dem Tai-Chi an. Dies ist eine wesentliche Vorbereitung, damit die Ruhe in den ganzen Bewegungen durchgehend integriert wird.

Nur wenn man sich Zeit nimmt und ruhig bleibt, kann man die notwendige Konzentration erreichen und die einzelnen Bewegungen ganz bewußt bis ins Detail durchführen. Ist dies nicht der Fall, besteht die Gefahr, daß man die Bewegungen ungleichmäßig oder falsch macht und die Reihenfolge durcheinander bringt. Deswegen sagt man :

Die Ruhe lenkt die Bewegung.
Bei der Aktion behält man die Ruhe.

Aufmerksamkeit

Neben der Gelassenheit und Ruhe muß man beim Tai-Chi seine Aufmerksamkeit völlig auf die Vorstellung und Ausführung der Bewegung richten und mit voller Konzentration und zielbewußt üben. Auf keinen Fall darf man während der Übung an andere Dinge denken oder ziel- und gedankenlos herumschauen. Anfangs vergißt man leicht diese wichtige, leitende Bewußtseinsführung, und läßt sich dadurch ablenken, daß man all zusehr mit Einzelheiten und Koordinierung der Bewegung beschäftigt ist. Nachdem man geduldig und lang genug geübt hat, nähert man sich allmählich dem Zustand, in dem das Bewußtsein den Körper dirigiert und in dem die gedankliche Vorstellung der tatsächlichen Bewegung in Einklang steht.

Entspannung und Kraftaufwand

Beim Tai-Chi soll der ganze Mensch entspannt sein. Hierunter versteht man nicht Haltlosigkeit oder Schlaffheit, sondern es werden vielmehr die Muskeln und Gelenke möglichst locker und entspannt gelassen, während sich der Körper bewegt, um eine bestimmte Haltung einzunehmen. Die Bewegungen sind weder steif noch schwerfällig und sollen nicht ins Stocken geraten. Die Wirbelsäule steht ganz natürlich gerade, d.h. nicht extrem überstreckt, damit sich Kopf, Rumpf, Arme und Beine in natürlicher Weise entspannen und frei bewegen können. Dabei richtet man den Oberkörper gerade, aber bequem auf; auf keinen Fall darf man ihn nach vorne oder hinten beugen bzw. nach rechts und links neigen.

Hierzu soll man nur so viel Kraft aufwenden, wie sie zur korrekten und stabilen Haltung des Körpers gerade notwendig ist. Diese richtig dosierte Kraft nennt man JING ("regelrechte Kraft" bzw. "innere Kraft"). Auch wenn die Arme bogenförmig bewegt und die Beine zu einem bestimmten Winkel gebeugt werden, bleibt der ganze Körper, bis auf die im Moment beanspruchten Teile, möglichst locker.

Sicherlich ist die Dosierung der JING-Kraft am Anfang recht schwierig. Es empfiehlt sich daher zuerst auf die Lockerung des ganzen Körpers zu achten, damit sämtliche Muskeln und Gelenke frei beweglich sind.

Anschließend führt man dann die Bewegung mit möglichst wenig Kraftaufwand aus. So lernt man nach und nach die notwendige JING-Kraft passend zu dosieren. Wenn man sie beherrscht, kann man die Bewegung weicher und runder ausführen, die Folgen fließender miteinander verbinden und die verschiedenen Teile des Körpers besser koordinieren.

Koordinierung

Tai-Chi ist eine Übung des gesamten Organismus. Die bewußte geistige Aktivität, die die ganzen Bewegungsabläufe aufmerksam steuert (siehe dort) und die exakt abgestimmten Bewegungen der verschiedenen Körperteile tragen dazu bei, daß der gesamte Organismus - die Psyche und das Soma - trainiert wird.

Die harmonische Koordinierung der verschiedenen Körperteile bei den Bewegungen, die die physiologischen Gegebenheiten und Möglichkeiten des Menschen voll integrieren, führt nicht nur zu einer besseren Funktionsfähigkeit des Körpers, sondern auch zu einem körperlichen Wohlbefinden. Dies wiederum fördert unter anderem auch die heitere Stimmung, das psychische Gleichgewicht (siehe dort). Deshalb betont man beim Tai-Chi auch so sehr die harmonische Koordinierung der verschiedenen Körperteile.

Harmonische Koordinierung heißt, daß ein Körperteil, z.B. die Arme, einem anderen, z.B. den Beinen folgt, sobald der eine oder der andere in Aktion tritt. Sie führen praktisch einen übereinstimmenden Bewegungsdialog. Daher sagt man :

Wenn sich ein Teil des Körpers in Bewegung befindet, bleiben die restlichen Teile nicht in einem Stillstand       und

Der ganze Körper wird von den Beinen über das Kreuz zu den Armen in einem Atemzug bewegt.

Von Anfang an sollte man versuchen, alle Bewegungen aus dem Kreuz bzw. Unterleib (Tan Tien) zu steuern und die Extremitäten durch den Körperstamm zu führen. Es erweist sich als vorteilhaft, wenn man am Anfang nicht versucht, die ganze Form - also von der ersten bis zur letzten Folge - nachzuahmen. Man sollte ruhig erst einmal einzelne Figuren üben, damit man lernt die Extremitäten mit dem Rumpf zu koordinieren. Danach kann man weitere Schritte wie Reiter- oder Schützenstellung, die Verlagerung des Körpergewichts und das Wechseln der Schritte üben. So kann man einen stabilen Stand erreichen und lernt die Schritte zu beherrschen.

Anschließend übt man die Folgen der Reihe nach, um die Schritte, die Drehung des Körpers und die Handbewegungen miteinander synchron abzustimmen. Auf diese Weise kann man allmählich die Teile des Körpers miteinander koordinieren, den ganzen Körper optimal trainieren und gleichmäßig entwickeln.

Verlagerung des Körpergewichts und Schwerpunkts

Beim Tai-Chi achtet man sehr auf die gleichmäßige Verteilung des Körpergewichts und einen stabilen Stand. Denn beides spielt eine Schlüsselrolle bei einer Änderung der Haltung zur Himmelsrichtung und des Standorts. Es muß klar sein, welches Bein das Körpergewicht überwiegend trägt (chinesisch : Shi = "Fülle" bzw "voll") und welches es kaum trägt (chinesisch = Xü = "Leere" bzw "leer"). Aber das Gewicht sollte von einem auf das andere Bein stufenlos verlagert werden. Wenn die Unterscheidung zwischen FÜLLE und LEERE der Beine nicht klar ist und wenn der Übergang der Gleichgewichtsverlagerung nicht fließend ist, dann führt dies dazu, daß man keinen stabilen Stand bekommt und sich wackelig und linkisch bewegt.

Beim Tai-Chi pflegt man zu sagen :

Man schreitet wie eine Katze und bewegt die Hände wie beim Ziehen eines Seidenfadens aus dem Kokon.

Dies beschreibt, wie gewandt und stabil man die Schritte macht und wie geschickt und präzise man Hände und Arme bewegt. Man achtet zuerst genau auf die Verteilung und Verlagerung des Körpergewichts, damit der Körper in Balance bleibt und sich die Glieder ruhig und gleichmäßig bewegen. Denn wenn man die Balance verliert, kann man nicht stabil stehen, geschweige denn sich gewandt und präzise bewegen.

Gleichgültig, wie schwierig und komplex eine Bewegung des Tai-Chi ist, sollte man sich zuerst in einen stabilen und gleichzeitig entspannten Zustand bringen. Das ist, was man beim Tai-Chi mit den Grundvoraussetzungen "Mitte, aufrecht, ruhig und bequem" meint.

Hierzu einige Beispiele

  • Vor der Drehung des Körpers muß man zuerst gerade und stabil stehen
  • Bei Vorwärts- oder Rückwärtsbewegungen muß man zuerst den Fuß auf den Boden stellen und dann den Schwerpunkt des Körpers verlagern

Andere Kriterien der Körperhaltung, wie herabhängende Schulter, Loslassen des Kreuzes und der Hüfte (siehe dort) und die tiefe Bauchatmung (siehe dort) helfen auch, den Schwerpunkt des Körpers zu stabilisieren. Wenn man diese Kriterien beachtet, wird man mit der Zeit nicht mehr unruhig und steif sein.

Natürliche Atmung

Beim Tai-Chi wird eine ruhige tiefe Bauchatmung angestrebt. Dabei atmet man tief in den Bauch (Tan Tien) hinein und ganz aus dem Bauch heraus. Sicherlich kann man die Atemluft nicht in die Bauchhöhle hineindrängen. Gemeint ist vielmehr, das Zwerchfell während der Einatmung so tief wie möglich, aber ohne Anstrengung, in den Bauchraum herunter zu lassen und bei der Ausatmung so hoch wie möglich in den Brustkorb hinauf zu heben. Dabei verfolgt der Gedanke die Bewegung des Zwerchfells während der Ein- und Ausatmung.

Das ist, was man beim Tai-Chi mit "das Chi in den Tan-Tien herabführen" meint. Diese tiefe Bauchatmung stimuliert außer den inneren Organen auch das vegetative Nervensystem, sodaß man nach einer gewissen Zeit ein kribbeliges, prickelndes, warmes und wohltuendes Chi-Gefühl im Unterleib spüren kann.

Die Atemzüge koordinieren sich auf natürliche Weise mit den Bewegungen des Körpers. So atmet man zum Beispiel beim Aufstehen ein und beim Hinsetzen aus; man atmet ein, wenn man die Arme auseinander breitet und atmet aus, wenn man die Arme zusammenführt; man atmet ein, wenn man die Arme zum Körper zurückzieht und atmet aus, wenn man die Arme ausstreckt.

Aber viel wichtiger ist, daß die Atmung ruhig und natürlich ist, also nicht forciert und nicht extrem verlangsamt betätigt werden muß. Anfangs sollte man man zuerst auf diese ruhige und natürlich Atmung achten und nicht gleich die etwas anspruchsvollere Bauchatmung versuchen. (Es sei denn, daß man mit dieser Atemtechnik schon vertraut ist). Es genügt vorerst, die Atmung so zu belassen wie gewohnt; man atmet so ein und aus, wie es der Körper von sich selbst aus tut und greift nicht in die Atemtätigkeit ein. Der Körper ist selbst in der Lage, intuitiv für jeweilige Bedürfnisse richtig zu atmen.

Erst wenn man mit der Bewegungsform vertraut ist, kann man mit der ruhigen tiefen Bauchatmung beginnen. Die Übereinstimmung zwischen den Atemzügen und den Bewegungen wird nicht stur und mechanistisch erzwungen. Vielmehr wird die nach den jeweiligen physiologischen Bedürfnissen sowie den persönlichen Erfahrungen und Fähigkeiten bzw. Entwicklungsstadien beim Tai-Chi abgestimmt. Selbst innerhalb einer Bewegung muß man die Ein- und Ausatmung manchmal variieren. Wenn man diese physiologischen Gesetzmäßigkeit mißachtet, können Störungen, wie Kurzatmigkeit, Seitenstiche und Herzklopfen oder Disharmonie der Bewegung, auftreten

Die oben genannten Kriterien sind nicht voneinander zu trennen, da sie in engem Zusammenhang stehen. Ist man beispielsweise innerlich unruhig, dann kann man sich nicht konzentrieren; infolgedessen kann der Geist die Bewegungen nicht führen, und die Bewegung ist nicht mehr rund und fließend. Dies führt dazu, daß man die Verlagerung des Gewichts nicht beherrscht und dadurch die Balance verliert; der Körper wird angespannt, die Koordinierung des ganzen Körpers wird gestört, und man kann nicht mehr ganz natürlich atmen.

Anweisung zur Körperhaltung

Kopf

Beim Tai-Chi wird der Kopf aufrecht, aber natürlich gehalten. Diese aufrechte Haltung des Kopfes ist sehr wichtig, denn sie führt dazu, daß der Rumpf, der mit dem Kopf durch die Wirbelsäule eine Einheit bildet, ebenfalls gerade steht. Dabei bleiben die Muskeln des Hals-Nacken-Bereichs ganz locker. Der Kopf darf jedoch nicht haltlos wackeln, und auf keinen Fall darf er seitwärts geneigt, vorwärts gebeugt oder rückwärts gestreckt werden. Man sollte sich ruhig vorstellen, daß man einen leichten Gegenstand mit dem Kopf nach oben drückt. Man benutzt so viel Kraft, daß der Kopf gerade aufrecht gehalten wird, also Jing-Kraft (siehe dort) Dies ist, was man beim Tai-Chi mit "den Kopf aufhängen" und "die Scheitel hochtragen" meint.

Der Kopf soll stets mit der Änderung der Position und Richtung des Körpers sowie mit der Drehung des Rumpfes im Einklang bewegt werden. Das ganze Gesicht ist dabei natürlich und entspannt. Das Kinn wird ein wenig angezogen, und der Mund wird ganz natürlich geschlossen gehalten; die Zähne liegen locker aufeinander, und die Zunge wird ganz leicht an den Gaumen (knapp oberhalb des Oberkiefer-Gebisses) angelegt. Dabei wird vermehrt Speichel ausgesondert, den man schluckweise einnehmen soll.

Man blickt im allgemeinen friedlich nach vorne in die Ferne, wobei der Blick nicht steif und geistlos, sondern weit ist und man die Umgebung (links und rechts sowie oben und unten) gleichzeitig wahrnimmt, auch wenn man in eine bestimmte Richtung schaut. Ansonsten bewegt sich der Blick analog der Bewegung der Hände oder Richtung des Körpers. Am Ende einer Figur bzw. eines Bewegungsablaufs richtet man den Blick in der Regel wieder nach vorne. Mit dem Ohr soll man die Umgebung (auch hinter dem Rücken) in Ruhe und passiv wahrnehmen. Trotz der Wahrnehmung der Umgebung widmet man aber die volle Aufmerksamkeit dem Tai-Chi und bleibt immer ruhig und entspannt.

Rücken und Brust

Der Rücken wird beim Tai-Chi natürlich aufrecht gehalten, und die Brust bleibt ganz entspannt und frei. Dabei darf die Brust weder besonders herausgestreckt noch eingezogen werden : Man steht ganz normal aufrecht. Wichtig ist, daß man eine natürliche, entspannte Haltung einnimmt, die die Atmung nicht behindert und die Schulter nicht versperrt. Man muß den Brustkorb frei ausdehnen, das Zwerchfell ungehindert Auf- und Ab bewegen können, und die beiden Schulter müssen locker herabhängen und in alle Richtungen frei beweglich sein. Das ist, was man beim Tai-Chi unter "die Brust zurückhalten und den Rücken gerade ziehen" versteht. Hier darf man unter dem Begriff "die Brust zurückhalten" nicht "die Brust zurück- bzw. hineinziehen" verstehen. Das chinesische Wort für "zurückhalten" ist HAN, es hat eine Bedeutung von "im Begriff aufgehende bzw. sich öffnende Knospe". D.h. die Brust ist zwar zurückgehalten, aber sie kann sich ungehindert in jedem Moment entfalten. Diese natürliche Haltung des Oberkörpers sollte während der ganzen Tai-Chi-Übung beibehalten werden.

Bauch und Lende

Wenn man eine körpergerechte Haltung beim Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen einhalten möchte, übernimmt die Lendenwirbelsäule hierbei eine steuernde Aufgabe. Man sagt auch :" Die Lendenwirbelsäule ist der Herrscher des ganzen Körpers" und "Sie ist die Achse der Bewegung".

Daher ist es besonders wichtig, eine richtige Haltung der Lendenwirbelsäule einzunehmen, da-mit man während der Ausübung gerade, bequem und stabil, aber trotzdem entspannt bleiben kann.

Bei allen Bewegungen, ob Vorwärts- oder Rückwärtsgehen, Drehen oder Gewichtsverlagerung, muß man die Lendenwirbelsäule ganz bewußt locker lassen, damit sie frei von jeglicher Spannung und ungehindert beweglich bleibt. So hilft sie auch, den Schwerpunkt des Körpers zu balancieren, so daß man die Beine sicher, aber rund und stabil bewegen kann.

Um dies zu erreichen, muß man die Lendenwirbelsäule zusammen mit der Brustwirbelsäule mehr oder weniger in eine senkrechte Linie bringen, als ob man die ganze Wirbelsäule mit dem Kopf durch einen starken Faden in die Höhe ziehen würde. Ist die Lendenwirbelsäule gerade, dann ist die zentrale Bewegungsachse des Körpers auch stabil, man kann die Tai-Chi-Bewegungen in alle Himmelsrichtungen tadellos ausführen, und der Körper bleibt stets natürlich auf-recht.

Die Bauchmuskeln sollen entspannt sein, damit man die Zwerchfell- bzw. die Bauchatmung ungehindert ausführen kann. Dabei soll man die Atmung imaginär in die Tiefe zum Tan Tien (er liegt ungefähr drei Finger breit unterhalb des Bauchnabels) führen. Dies aber ohne besonderen Kraftaufwand, damit man die Aufmerksamkeit dort konzentrieren und das Körpergefühl wahr-nehmen kann. (siehe dort)

Kreuz und Gesäß

Das Gesäß ist in normaler Haltung etwas nach hinten geneigt (siehe Abb. 1 und Abb. 2). Wenn es zu weit rückwärts gestreckt wird, wird die Lendenwirbelsäule eine zwangsläufige, übermäßige Krümmung nach vorne einnehmen (siehe Abb. 3). Dadurch kann der Rumpf nicht mehr gerade bleiben , die Hüften werden steif, und die Beine werden in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt.

Um die oben genannte Fehlhaltung zu vermeiden, soll man beim Tai-Chi das Gesäß einfach locker nach unten sinken lassen, so, wie man mit entspannten und geraden Rücken auf einem Stuhl oder einem Pferd sitzt. Gewöhnlich wird das Kreuz dabei leicht nach vorne und oben gedreht (die Hüften bleiben dabei locker). Dadurch steht die Lendenwirbelsäule praktisch senkrecht und mit gleichmäßiger Verteilung der Gewichtsbelastung auf dem Kreuzbein, was zusätzlich eine Entlastung für die einzelnen Wirbelkörper und Bandscheiben bedeutet (siehe Abb. 4).

Ähnlich wie bei der geraden Haltung des Kopfes darf auch hier keine unnötige und übermäßige Kraft benutzt werden, da dies sonst eher zu Verspannungen und Steifheit führen würde.

 

Abb.1: Normale Krümmung der Wirbelsäule

Abb.2: Die normale Stellung der Lendenwirbel auf dem Kreuzbein

Abb.3: Die übermäßige Rückwärts-Streckung des Kreuzbein



Abb.4: Das senkrecht gestellte Kreuzbein beim Tai-Chi

Untere Extremitäten

Beim Tai-Chi bilden die Beine die Grundlage für die Stabilität des Körpers, für den Wechsel der Schritte und für das Hantieren mit der natürlichen inneren Jing-Kraft. Deswegen muß man das Verlagern des Gewichts von einem auf das andere Bein, die Beugung und die Position der Beine besonders beachten. In der Schule des Tai-Chi und auch in der Kampfkunst sagt man :

Die Figuren haben ihre Wurzel in den Füßen;
sie entspringen aus den Beinen, werden von dem Kreuz gesteuert und
machen sich (in ihrem Ausdruck) in den Händen sichtbar.

Dies bedeutet: Ob eine Tai-Chi-Figur in ihrer Form und in ihrem inhaltlichen Ausdruck gelingt, hängt davon ab, ob die Haltung der Beine richtig ist. Man kann daran sehen, wie wichtig hier die Beinarbeit ist.

Als allererstes müssen Hüften und Knie ganz locker sein. Trotzdem sollen sie eine gewisse Stabilität vermitteln, damit die Beine nicht wackelig werden. Diese lockeren und freien, aber stabilen Hüft- und Kniegelenke ermöglichen eine geschickte, weiche, aber sichere Beinarbeit. Das Abheben und Aufsetzen der Füße muß leicht, gewandt und lebendig sein. Beim Vorwärtsgehen muß zuerst die Ferse, beim Rückwärtsgehen müssen zuerst die Zehen aufgesetzt werden.

Am Anfang des Erlernens von Tai-Chi hat man das Gefühl, daß man nicht auf Arme und Beine achten kann. Viele konzentrieren sich deswegen auf die Bewegung der Arme und Hände und vernachlässigen dadurch die Beine, so daß die Figur bzw. die ganze Form falsch ausgeführt wird. Man muß nicht nur die Arbeit der Arme und Hände, sondern die Arbeit der Beine und Füße beachten. Unter Umständen kann man Arme und Beine getrennt, ja sogar zuerst nur die Beine üben.

Man muß die einzelnen Haltungen bzw. Schritte genau erlernen und die Wichtigkeit der Beinbewegung für die Formung einer Figur und für die Haltungsänderung innerhalb einer Figur bzw. deren Wechsel erkennen.

Obere Extremitäten
Beim Tai-Chi sagt man :

Die Schultern hängen herab, und die Ellenbogen sind locker gebeugt

Gemeint ist damit, daß diese beiden Gelenke stets locker und frei sein sollen, damit die Bewegung sanft und rund werden. Die beiden Gelenke hängen miteinander zusammen, wenn die Schultern locker herunterhängen, sollen auch die Ellenbogen locker bleiben. Dabei soll man die Schulter nicht nur absenken, sondern auch bewußt leicht nach außen bringen (auf jeden Fall nicht nach innen zum Körper drücken), damit man keine hochgestellten Schultern bekommt.

Die Hände und Handgelenke müssen ebenfalls locker und frei sein, was aber keine Haltungslosigkeit bedeuten soll. Wenn man die Hände zum Körper zurückzieht, läßt man diese ganz leicht nach vorne geneigt. Schiebt man die Hände nach vorne, soll man die Handgelenke leicht nach unten fallen lassen und die Hände etwas (nicht ganz) zurück strecken. Dabei bleiben Hände und Handgelenke locker und die Finger ganz natürlich. Die Hände soll man auch ganz ruhig, entspannt und gleichmäßig drehen, und die Fäuste nur locker (nicht fest) schließen.

Die Bewegungen der Hände, der Arme und der Schultern sind miteinander verbunden. Wenn man die Hände zu weit nach vorne schiebt, werden die Arme ausgestreckt; dadurch kann man das Kriterium "die Schultern hängen herab und die Ellenbogen sind locker gebeugt" nicht er-füllen. Wenn man die Schultern all zu sehr absenkt und die Ellenbogen all zu weit beugt, werden die Hände nicht weit genug vorgeschoben, wodurch die Arme zu stark angewinkelt sind. Kurzum : die Hände und die Arme werden nur ganz leicht gebeugt, und die Bewegung der Hände (Vorschieben und Zurückziehen) wird nicht zu weit (zum toten Punkt) geführt. Nur so sind die Hand- und Armbewegungen korrekt :

  • natürlich und gewandt
  • weich und rund
  • leicht, aber nicht flüchtig
  • stabil, aber nicht steif.

Sie behalten ihre eigene Kontur und bilden gleichzeitig miteinander einen ununterbrochenen Fluß.

 

 

 

 

Wichtige Hinweise zur Ausübung des Tai-Chi

Wie bereits erwähnt, kann diese Beschreibung keinen Tai-Chi-Lehrgang ersetzen. Sollte es aber keine Möglichkeit zur Teilnahme an einem solchen Kurs geben, ist es ratsam, mit mehreren Interessenten zusammen in einer Gruppe zu arbeiten. Dadurch kann man nicht nur voneinander lernen und eventuelle Probleme gemeinsam lösen, sondern auch besser am "Ball" bleiben und nicht wegen irgendwelchen Schwierigkeiten zu schnell das "Handtuch" werfen. Außerdem macht es mehr Spaß und es ist geselliger, in einer Gruppe das Tai-Chi zu üben.

Neben den in den vorangegangenen Beschreibungen dargestellten Hinweisen über Körperhaltung, Atmung, bewußte Führung, Koordinierung usw. sollte man noch die nachfolgenden Kriterien beachten.

Ausdauer

Wie bei anderen Lehrgängen auch, braucht man beim Erlernen des Tai-Chi Ausdauer. Neben der Unterrichtsstunde bzw. der Gruppenarbeit sollte man nach Möglichkeit versuchen, jeden Tag etwas zu üben. Z.B. vor und nach der Arbeit oder frühmorgens und spätnachmittags, an einem ruhigen Platz an frischer Luft, wie in einer Parkanlage, einen Garten, einer Wiese, am Flußufer oder in einem ruhigen Raum. Auch wenn man die vollständige Form schon gelernt hat, soll man diese weiterhin regelmäßig üben. In der deutschen Sprache gibt es ein zutreffen-des geflügeltes Wort

Übung macht den Meister.

Perfektion ist zwar kaum erreichbar, aber durch die regelmäßige Übung kann man das Niveau allmählich erhöhen und das Tai-Chi korrekt ausführen Die Grundvoraussetzung für Tai-Chi ist unter anderem, das man es in der äußeren Form korrekt betreibt.

Es ist nicht wichtig, so schnell und soviel wie möglich auf einmal zu lernen. Vielmehr soll man Wert darauf legen, sich Zeit zu lassen und schrittweise - wie ein Baby das Gehen - zu lernen. Hat man bestimmte Schritte, bestimmte Armbewegungen, eine bestimmte Figur oder Teile davon noch nicht verstanden oder beherrscht diese noch nicht, dann soll man vorerst nicht noch zusätzlich etwas Neues probieren, sondern soll erst einmal an dieser Figur weiter üben, bis man auch den schwierigsten Teil davon beherrscht. Erst dann geht man in seinem Programm weiter.

Gleichmäßige Geschwindigkeit

Tai-Chi soll man langsam und gleichmäßig ausführen. Gerade durch langsame Bewegungen kann man die einzelnen Elemente genau erlernen und nach und nach beherrschen. Von Anfang an soll man sich an ein gleichmäßiges Tempo gewöhnen; das Tai-Chi soll man von der ersten bis zur letzten Folge, mit Ausnahme weniger Stellen mit gleicher Geschwindigkeit ausüben. Bei zügigem Tempo dauert der ganze Satz der kurz gefaßten Peking-Form etwa 5-6 Minuten, bei langsamem Tempo etwa 7-9 Minuten.

Die Honan-Form dauert etwa ca. 20 Minuten.

Gleichmäßige Höhe

Die Höhe des Körpers soll man beim Beginn durch Beugen der Knie bestimmen. Diese Höhe soll man durch die ganze Zeit in etwa beibehalten, mit Ausnahme beim Heraufsteigen. Für Anfänger und Menschen mit schwächerer Konstitution ist es ratsam, die Knie nicht allzu tief vorzubeugen, weil es sehr anstrengend sein kann. Später, nachdem sich der Körper daran gewöhnt hat und besser trainiert ist, kann man die Übungen mit etwas niedrigerer Körperhöhe versuchen

Belastungspensum

Tai-Chi ist nicht vergleichbar mit gewöhnlichen Sportarten oder Körperübungen, die relativ hohe körperliche Belastung mit sich bringen. Es beinhaltet trotzdem ein bestimmtes Belastungspensum, weil man Arme und Beine mit leicht gebeugter Haltung bewegen muß. Vor allem die Belastung der Beine kann besonders am Anfang recht hoch sein - was sich durch Muskelkater bemerkbar macht -, weil man das ganze Körpergewicht, bedingt durch Gewichtsverlagerung, oft mit einem gebeugten Bein tragen muß. Durch regelmäßiges Üben (eventuell mit etwas verkürzter Übungsdauer) werden die Beine mit der Zeit kräftiger und die Beschwerden verschwinden von alleine (siehe dort)

Wie lang und wie häufig man Tai-Chi übt, hängt neben der Motivation noch von der jeweiligen Konstitution und den sonstigen körperlichen Alltagsbelastungen ab. Normal gesunde Menschen können ohne weiteres täglich mehrmals je eine halbe Stunde üben. Ältere und körpergeschwächte Menschen müssen sich an ihrer eigenen Belastbarkeit orientieren. Wenn man sich nach der Übung unwohl fühlt (schwindelig, schlaff, matt und schweißgebadet oder kurzatmig), der Puls nach der Übung mehr als 20 Schläge pro Minute höher als vor der Übung ist, und wenn es nicht an falscher Atmung und allzu hoher Geschwindigkeit liegt, dann liegt hier mit großer Wahrscheinlichkeit eine Überbelastung vor. In diesem Fall muß man das Belastungspensum entsprechend reduzieren. Man kann die Übungszeit verkürzen, indem man nur einige Figuren der Übungsfolge übt, oder beugt die Beine weniger stark, wodurch man etwas höher steht. Es ist besser mäßig, aber regelmäßig zu üben. Denn übereifriges Üben und übermäßige Belastung können der Gesundheit eher schaden als nutzen. Menschen mit chronischen Erkrankungen sollten auf jeden Fall vorher mit ihrem Arzt über ihre Belastbarkeit sprechen und darüber ob Tai-Chi ausgeübt werden kann und wie hoch das Belastungspensum sein darf.