Tai Chi als Meditation
Bemerkungen nach Foen Tjoeng Lie Bei der Meditation versucht man, einen Zustand, der möglichst frei von Gedanken ist, zu erreichen. In diesem Zustand der vertieften Ruhe und gedanklichen Leere verschafft man sich die Möglichkeit für die schöpferische geistige Leistung - das Sich-Erkennen und das sinnliche Betrachten. So öffnet sich der Weg für die Erweiterung des Bewußtseins, die Vertiefung der Gedanken und die klare Intuition. Das Streben - ein Zustand zu erreichen, der möglichst frei von Gedanken ist - ist auch ein Gedankenprozeß. Diese Paradoxie entspricht ganz den Yin-Yang-Prinzipien der taostischen Philosophie; der Zustand von der gedanklichen Leere ist das Yin (passives Prinzip), und der Gedankenprozeß ist das Yang (aktives Prinzip). Das Yin und das Yang bedingen sich gegenseitig, stehen aber in einem unterschiedlichen Verhältnis zueinander, je nach Zeitpunkt der Betrachtung. Im Yin ist auch ein gewisser Anteil vom Yang vorhanden: Selbst in einem vertieften Ruhezustand der Meditation (Yin) muß man unter anderem die Atmung bewußt führen und die Aufmerksamkeit (das Herabsenken des Chi) auf den Dan Tien konzentrieren (Yang): Um die oben genannten Aktivitäten sinngemäß auszuführen (Yang), braucht man Ruhe und Gelassenheit (Yin). Schon wenn nur eins dieser beiden Prinzipen völlig vernichtet ist, kann kein Leben existieren. Ebenso kann man sich kaum das Denken verbieten, solange man lebt. Ob bewußt oder unbewußt, Gedanken kommen immerfort. Um einen Zustand während der Meditation, der relativ frei von wirren Gedanken ist, zu erreichen, sollte man die Existenz der Gedanken zuerst akzeptieren. Nur wenn man ihnen Raum in seinem Bewußtsein einräumt, wirken sie nicht mehr störend. Sie werden oft von alleine vergehen. Die Wirkung des Tai Chi als Meditation beruht in erster Linie darin, daß der Mensch durch die konzentrierte Ausübung von Tai Chi - die bewußte Führung der Bewegung und Atmung sowie das Herabsenken des Chi auf den Dan Tien im Unterleib - eine der Voraussetzungen für die Medition schafft, nämlich die Abschaltung der Störfaktoren von Außen und Innen. |
Andere Merkmale des Tai Chi, wie das Loslassen und die entspannte, aber aufrechte Haltung des Körpers, die sanfte Bewegung und die richtige Atmung, stellen weitere begünstigende Faktoren für die Meditation dar. Die typische Körperhaltung mit aufgerichteter Wirbelsäule und leicht gebeugten Knien, die für viele anfänglich sehr ungewöhnlich ist, ist jedoch körpergerecht. Sie führt nach der Anpassungsphase die körperliche Entspannung herbei. Das Lockerlassen der Gelenke und Muskeln kurzum das Loslassen des ganzen Körpers und die richtige Atmung sowie die sanfte runde Bewegungsart vermitteln dem Tai Chi Ausübenden Wohlgefühle, die für die Seele beruhigend und erholend wirken. Die geistige und die körperliche Entspannung verschaffen einen Zustand der ganzheitlichen Harmonie.
Dadurch wirkt das Tai Chi trotz körperlicher Aktivität - ja vielleicht gerade deshalb - fördernd auf die Fähigkeit zur gedanklichen Versenkung, dem In-sich-Hineinschauen und dem Mit-sich-Einswerden. Um diese Wirkung zu erzielen, muß man neben den üblichen Voraussetzungen für die Meditation, wie einen ruhigen Ort, frische Luft, angenehmes Lichtverhältnis, lockere Kleidung usw., auf jeden Fall die Form des Tai Chi, gleichgültig welche es ist, korrekt ausführen können. Dazu gehören:
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Hier gilt, genau wie bei anderen Meditationsarten, daß man die vertiefte Stille in sich erst erreichen kann, wenn die Meditation selbst - hier die Ausführung der Form - keine Anstrengung mehr bedeutet. Je besser die Form beherrscht wird, desto müheloser ist es für den Ausübenden, und um so leichter ist es auch, diese innere Stille in der Bewegung als Ziel zu erreichen. Es bedarf ohne Zweifel einer enormen Fleißarbeit über Monate oder gar Jahre, bis man die Form korrekt ausführen kann. Der Weg zum Ziel ist lang und mühsam. Wenn man den Weg geht, rückt das Ziel, wie fern es auch immer sein mag, mit jedem Schritt näher und näher. Der Weg selbst ist das Ziel.
Die Fleißarbeit wird sich auszahlen. Wenn man die Form geduldig und gelassen übt, kann man sie im Laufe der Zeit immer korrekter ausführen. Auch wenn die höchste Perfektion kaum zu erreichen ist, werden mit jeder weiteren ¨bung Körperhaltung, Bewegung und bewußte Führung von Bewegung, Atmung und Chi stets besser.
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Mit der besseren Beherrschung der Form werden die Figuren mehr und mehr an Ausdruck gewinnen. Erst in diesem Stadium kann der geistige Inhalt des Tai Chi voll entfaltet werden. Dadruch begreift und spürt man am eigenen Körper das Yin-Yang-Prinzip und das Versenken des Chi ins Dan Tien. Eben in der Form des Tai Chi kann man sich den Sinn des Yin-Yang-Prinzips :
Genauso ist es mit dem Herabsenken und der Bewahrung des Chi im Dan Tien. Den Versuch, das ganze Bewußtsein (Chi) in der Mitte unseres Körpers, nämlich im Dan Tien, zu behalten, bedeutet auch zugleich das Suchen nach geistiger und seelischer Balance. Dies bezeichnen die Chinesen unter anderem auch als das Gleichgewicht zwischen Yin und Yang, also die Harmonie im Körper und in der Seele - die Ausgewogenheit der menschlichen Ganzheit. |
Meditation soll aber nicht bedeuten, daß wir uns von der Welt, in der wir leben, zurückziehen, sondern sie soll vielmehr als eine Möglichkeit der Selbstfindung angesehen werden, um in dieser Welt das bewußte Leben und das menschliche Dasein zu verwirklichen. Das Yin-Yang-Prinzip und die eigene Mitte, welche man bei der Meditation durch Tai Chi gewonnen hat, soll man auch im Alltagsleben praktizieren. Nur dann kann man das im Inneren des Menschen gewonnene (das Yin) mit dem, was man in der Welt außerhalb des Körpers tut (das Yang), in Einklang bringen. Durch die Meditation wird das Yin gestärkt, und durch die praktische Anwendung wird das Yang gefestigt. Die Harmonie zwischen diesem Yin (innere Erkenntnis) und diesem Yang (das Tun und Lassen im Leben) ermöglicht dann auch eine stabile Mitte des ganzen Menschen. Dies entspricht ganz dem Tao. Hierunter versteht die taoistische Philosophie den wirklichen Weg des Menschseins.
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